Taylor Swift: Warum sie so fantastisch ist

Taylor Swift ist die beste Künstlerin der modernen Pop-Musik. Kommerziell betrachtet sprengt sie ohnehin längst alle Grenzen, ist in der öffentlichen Wahrnehmung dennoch eine kontrovers aufgenommene Persönlichkeit. Ich selbst ignorierte sie zuerst, nahm sie dann als sympathisches Püppchen wahr und mittlerweile liebe ich sie und ihre Musik. Im folgenden will ich anhand dreier Behauptungen festmachen, was ich so sehr an dieser Künstlerin schätze, und weshalb ich sie für so gut halte.

These 1: Befreiung durch Nostalgie

Nostalgische Bilder in den Texten und Videos von Taylor Swift ziehen sich durch ihr gesamtes Werk – von ihrer Debüt-Single „Tim McGraw“ bis hin zu fast jedem Song auf „1989“. Sie offenbart dadurch Sehnsuchts-Fantasien, die mit dem Jetzt in keinster Weise vereinbar sind und dennoch damit Hand in Hand gehen.

In „Love Story“, zum Beispiel, verhandelt sie „Romeo und Julia“ neu, in dem sie sich selbst als Julia definiert. Die Geschichte wird dabei zuerst deutlich von der erzählerischen Realität abgegrenzt, in dem Taylor diese durch die Worte „I close my eyes // And the flashback starts“ einleitet. Die Tragödie findet also nur in ihrem Kopf statt. Taylor zeigt uns was sie sich wünscht und was sie fühlt und lässt dabei auch den eigentlichen Widerspruch aufgehen. Warum wünscht Taylor sich das Drama, das mit dem Bild der großen Liebestragödie zwangsläufig einhergeht? Vielleicht ist das an dem story im Titel festzumachen, dass die Vorstellungen großer Liebe, die junge Menschen haben, an gesellschaftlich verankerte Narrative gekoppelt sind, dass jede Liebe eine Geschichte braucht. Diese Geschichte zur Liebe nimmt Taylor hier gedanklich vorweg und löst diesen komplexen Wunsch nach dem, was sein muss, aber nicht sein soll, ganz simpel und einfach auf. „Baby, just say yes“; einfach „ja“ sagen. Mehr braucht es nicht. Das ist naiv und vereinfacht, doch letztlich ist es auch irgendwie wahr und setzt dem hausgemachten Drama eine einfache Lösung entgegen. Schließlich vermischt sich die Fantasie des Songs mit der Wirklichkeit des Songs und umso unklarer wird der eigentliche Ausgang der Geschichte. Doch dieser ist auch unwichtig, denn es geht nunmal um die Story, die sich in der aufbauenden Kraft, des Songs entfaltet. Die letzte Zeile des Songs, wortgleich mit der ersten, singt Taylor vollkommen anders und haucht mit dem letzten Wort ein erleichtertes Gefühl hinaus, dass verstehen lässt, dass die Fantasie, die Tragik, das Drama und das Yes alles zu etwas gut waren.

Ein anderer Song. „Starlight“ aus dem Album „Red“, der von der Liebesgeschichte Ethel und Bobby Kennedys inspirerert ist. Taylor schlüpft in die Rolle Ethels und lässt uns an ihrer Vorstellung eines ersten Dates anno 1945 teilhaben. Dass Bobby und Ethel sich ganz anders kennen lernten spielt dabei überhaupt keine Rolle, sondern nur das Bild grenzenlosen Träumens in diesem nostalgisch aufgeladenen Setting, was sie heute wohl nicht mehr für möglich hält. Ähnlich ist das Video von „Wildest Dreams“ aufgebaut, in dem sie die Bilder einer vergangenen Hollywood-Ära abruft, diese glorifziert und verkitscht, dabei aber ihre Musik selbst zu Sehnsuchtskino erhebt. Sie will aus Zeit und Raum ausbrechen, um irgendwo eine andere existenzielle Wahrheit in der Liebe zu finden.

Das ist aber kein räudiger Eskapismus, denn Taylor kommt immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Ihre Nostalgie ist kein Schutzschild vor der Realität, sondern eine Therapie, die die Möglichkeiten des Hier und Jetzt überwindet und woanders und wannanders nach Heilung sucht. Sie ist kein Hashtag-Vintage-Selbstzweck, sondern eine Befreiung von der Last des Lebens junger Menschen.

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These 2: Postfeministisch

Die ambitionierte aber dämliche Website everydayfeminism.com warf Taylor Swift in einem Artikel einmal white feminism vor. Dieser Begriff bezeichnet eine degenerierte Form des Feminismus, der sich nur für die Rechte weißer, heterosexueller Frauen der Mittel- und Oberschicht einsetzt – ist also alles was Hillary Clinton, Lena Dunham und Amy Schumer verkörpern, würg. Die Autorin jenes Artikels ist aber nicht die erste Vertreterin eines Feminismus, der nicht länger Bewegung, sondern zur Ideologie geworden ist, die Taylor Swift Vorwürfe macht, feministsiche Ideale zu verraten. Camille Paglia bezeichnete Taylor Swifts Verhalten als „widerwärtige Nazi-Barbie-Routine“ und behauptete, dass sie der Sache der Frauen schade.

Tatsächlich aber scheint Taylor Swift viel eher feministische Korsette, wie nunmal auch alle anderen, längst abgelegt zu haben. Auf eine gewisse Art und Weise wirkt sie dabei schon hedonistisch, wie ausgelassen sie ihr Leben, ihre Schönheit und ihre Dating-Gewohnheiten mit in ihre Songs wirft, ihre Streits mit verronnenen Liebhabern und verloren gegangenen Freunden. Sie kehrt Geschlechterrollen regelmäßig um – lässt in „Blank Space“ den Mann wie eine Marionette tanzen, im Video zu „Bad Blood“ nehmen sie und ihre Freundinnen typische Machoposen ein – verfolgt damit aber keine offensichtliche Agenda, sondern tut es viel mehr einfach weil sie es kann. Gleichzeitig scheint sie aber auch auf jeden Stolz zu pfeifen, wenn sie Männern ganze Alben hinterher weint-schreibt. Sie tut ganz was sie will und ist in diesem Sinne für junge Frauen ganz sicher ein besseres feministisches Vorbild als eine Camille Paglia, deren Rhetorik selbst an die extremer politischer Gruppierungen erinnert und Frauen, ähnlich dem Patriarchat, gerne in Rollen zwängen würde. „Shake it Off“, „Blank Space“, “22” und “Welcome to New York” sind wohl die stärksten Zeugen dieser Einstellung.

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These 3: Country, Pop, Hip Hop

Ihre Wandlung vom süßen Country-Starlet zum größten Popstar der Welt ist offensichtlich und beeindruckend. Mir fällt zudem jedoch auch eine Tedenz zunehmender Hip Hop Einflüsse auf, die irgendwo auf „Red“ ihren Anfang nehmen. Es ist interessant zu sehen, wie sich der Hip Hop dort eingeschlichen hat. In den Produktionen ihrer Pop-Songs auf diesen Album gewinnt der Beat an Bedeutung. Mehr Drums, mehr Bass, weniger vocal range. Dabei delivered sie ihre Lines wie Punches im Battle-Rap. Besonders merkt man das an „Blank Space“, den ich fast schon einen halben Hip-Hop-Song nennen würde. Sie bleibt in der ersten Line flowend auf dem Beat, während sie im nächsten singend davon fliegt. Sie baut Spannung darüber auf, wie sie die Dinge verpackt, sing und flowt. So baut sie Lines auf, die sie dem Hörer dann kraftvoll entgegenschmettert. Das ist aber nicht immer eine stimmliche Explosion, sondern viel öfters ein verbales, ganz ruhiges, aber höllisch potentes Zwinkern. Das gleiche gilt natürlich für „Bad Blood“.

Im Hip Hop geht es auch immer darum, Souveränität auszudrücken, etwas was Taylor ebenfalls beherrscht. Nehmen wir andere erfolgreiche Pop-Stars zum Vergleich: Eine Elle Goulding schafft es nicht einmal die eigenen Instrumentals zu bezwingen, Bebe Rexha und Meghan Trainor schaffen es nicht, sich ivon dem Einheitsbrei weißer Sängerinnen die gerne schwarz wären abzugrenzen und eine Rihanna macht mindestens doppelt so viel Müll wie gute Musik. Taylor Swift dominiert ihre Musik, steht in ihrem Mittelpunkt. Ihre Stimme ist in jeder ihrer Melodien der wichtigste Bestandteil.

Dabei mag man argumentieren, dass ihre gerappte Bridge auf „Shake it Off“ ein maximales Maß an white girl-Peinichkeit erreicht hat. Das ist vielleicht so, aber glechzeitig demonstriert es den direkten Bezug zu dieser Musikrichtung und verneint gleichzeitig aber jede Wahrnehmung ihrer Person als Rapperin. Diese Bezüge sind ganz woanders zu finden. Ihre Musik ist ein Hybrid vollkommener musikalischer Freiheit, die zu Radiopop kulminiert ist.

Ich würde gerne behaupten, dass Taylor Swift die einzige Künstlerin der Welt ist, deren kommerzieller Erfolg ein objektives Maß ihres Talents ist. Das ist allerdings Wunschdenken. Dennoch machen die genannten Faktoren sie für mich zur größten Pop-Künstlerin unserer Zeit und meiner absoluten Lieblingsinterpretin.

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