Über Multikultikomödien und warum Die Migrantigen so fantastisch ist

Ich muss gestehen, dass schlecht gewählte Titel von Kunstwerken bei mir sehr schnell Skepsis erwecken. So stieß mich der Name „Die Migrantigen“ augenblicklich ab, lässt er doch einen österreichischen Versuch, auf der Welle der beliebten Migrations- bzw. Multikultikomödien mitzuschwimmen, erahnen. Und meine Abneigung gegenüber jenem Subgenre, das seinen Anfang mit dem unerträglich schechten „Ziemlich Beste Freunde“ nahm, ist im Gegensatz zu der Gegenüber blöden Namen viel rationaler. Also hatte ich gute Gründe, diesen Film nicht zu sehen. Auf das Drängen einer Freundin hin, und auch wegen verbilligter Karten, entschied ich mich also doch dazu, dem Film eine Chance zu geben. Außerdem war ich schon lange nicht mehr im Kino.

Der erste Trailer vor der Vorstellung war der zu der französischen Multikultikomödie „He Even Has Your Eyes“, ein Film der von einem weißen Adoptivbaby in einer schwarzen Familie handelt. Schon der Trailer versichert der gutsituierten, bürgerlichen weißen Zielgruppe, dass sie beruhigt aufatmen können: Schwarze sind genauso rassistisch wie Weiße – was für eine Erleichterung. Ich fühlte mich schnell an die schlimmen Stunden erinnert, die ich durchleben musste, als wir mit der Schule den Film „Monsieur Claude und seine Töchter“ im Rahmen des französisch Unterrichts gesehen haben. Ein ganz und gar verblödeter und rassistischer Film, der die bodenlose Frechheit besitzt, den Rassismus eines weißen Wohlstandsfranzosen mit der natürlichen Skepsis eines Afrikaners gegenüber den ehemaligen Kolonialherren gleichzusetzen. Diese Form der „Vorurteils-Aufarbeitung“ wurde von meiner damaligen Französischlehrerin tatsächlich ernsthaft in einen Zusammenhang mit dem Attentat auf Charlie Hebdo in Verbindung gebracht. Wo sich „Ziemlich Beste Freunde“ noch damit begnügte Vorurteile zu bestätigen, bagatellisierte dieser Film den vorherrschenden Rassismus in einem Land, in dem es bis vor kurzem noch möglich schien, das Marine LePen Präsidentin werden könne. Und das hat einen Grund: Diese Filme gaukeln dem Zuschauer vor, sich mit einem ernsten Thema auseinandergesetzt zu haben, während sie ihm in Wahrheit beruhigend die Schulter tätscheln und ihm versichern, dass man sich für die Marine LePen, den Front National und die rassistische Polizeigewalt gar nicht zu schämen brauche, weil die Migranten, die ethnischen Minderheiten ja mindestens genauso schlimm sind. Ekelhafte Filme für Menschen, die sich gerne in dem Saft der Verzückung über die vermeintliche eigene Offenheit baden, dabei aber nicht im Geringsten den Mut besitzen, aus ihrer Komfortzone herauszutreten.

Nicht so „Die Migrantigen“. Nicht nur, dass dieser Film wunderbar pointiert und unterhaltsam war, nein, er war auch einer der reflektiertesten und intelligentesten Filme, die dieses Jahr im Kino liefen und übertraf dabei sogar den zweiten großartigen Film, der im Millieu der Wiener Migranten spielt, „Die Hölle“ von Stefan Ruzowitzky. Denn der Film ist eine Abhandlung darüber, wie wir, die Wohlstandsbürger, Migranten, besonders die sozial schwächeren, wahrnehmen und wie sich dieses Bild in Form selbsterfüllender Prophezeihungen immer wieder selbst bestätigt. Wir interessieren uns nämlich ohnehin nur für Stereotypen, nicht die Menschen dahinter, ziehen wie in diesem Fall das Klischeebild des ausländischen Gangsters vor die Kamera, nur um dann entsetzt mit dem Finger darauf zu zeigen. Zu Zwecken unserer Unterhaltung und Ergötzung beuten wir bestimmte Aspekte einer Subkultur aus, die wir selbst geschaffen haben, nur um die Menschen dahinter zu vergessen oder, noch schlimmer, zu verteufeln. Somit kreieren wir Parallelgesellschaften, gegen die letztlich wieder mit aller Konsequenz vorgegangen werden muss.

Somit schließt sich der Kreis zu den Befürchtungen und Erwartungshaltungen, die ich angesichts des Titels hatte. Regisseur Arman T. Riahi will genau diese Erwartungen wecken, er will die Zuschauer dämlicher Filme wie „Ziemlich Beste Freunde“, „Monsieur Claude und seine Töchter“ oder „He Even Has Your Eyes“ in seinen Film locken, um ihnen einen Spiegel vorzuhalten. Es gelingt ihm hervorragend. Seine deutliche, dabei aber keinswegs die erforderliche Komplexität verlierende Analyse trifft den Kern der Sache wie ein Seziermesser. Mit ihm hat ein hochintelligenter und begabter Jungregisseur die Bildfläche betreten. Der Umstand, dass dies erst sein Debütfilm war, schürt dabei hohe Erwartungen an das, was noch kommen mag.